Der nachfolgende Katalog gibt eine Übersicht über sämtliche Vorläufigkeitsvermerke, die die Finanzämter in erstmalige oder soweit möglich auch in geänderte Steuerbescheide aufnehmen. Soweit der Vorläufigkeitsvermerk reicht, kann der Steuerbescheid später noch durch das Finanzamt geändert werden. Für den Steuerpflichtigen ist es insoweit nicht zwingend notwendig ein Einspruchsverfahren einzulegen.
Zu beachten ist jedoch, dass die automatisierten Vorläufigkeitsvermerke regelmäßig nur bei einer später festgestellten Verfassungswidrigkeit oder nicht verfassungskonformen Auslegung der zugrundeliegenden Vorschrift zu einer Änderung führen. Häufig stellt sich später jedoch heraus, dass die jeweilige Norm aus anderen Gründen unzutreffend von der Finanzverwaltung angewendet wurde. Nur für die Fälle, die durch den Vorläufigkeitsvermerk abgedeckt sind besteht Anspruch auf Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen.
A / Einkommensteuerbescheide werden hinsichtlich der folgenden Punkte gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung von Normen vorläufig veranlagt
- Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben (§ 4 Absatz 9, § 9 Absatz 6, § 12 Nummer 5 EStG) – für die Veranlagungszeiträume 2004 bis 2014 –
- Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben (§ 4 Absatz 9, § 9 Absatz 6 EStG) – für Veranlagungszeiträume ab 2015 –
- Höhe der Kind bezogenen Freibeträge nach § 32 Absatz 6 Sätze 1 und 2 EStG
- Abzug einer zumutbaren Belastung (§ 33 Absatz 3 EStG) bei der Berücksichtigung von Aufwendungen für Krankheit oder Pflege als außergewöhnliche Belastung.
- Ferner sind im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtliche Festsetzungen des Solidaritätszuschlags für die Veranlagungszeiträume ab 2005 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 vorläufig gemäß § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 AO vorzunehmen. Für die Veranlagungszeiträume ab 2020 erfasst dieser Vorläufigkeitsvermerk auch die Frage, ob die fortgeltende Erhebung eines Solidaritätszuschlages nach Auslaufen des Solidarpakts II zum 31. Dezember 2019 verfassungsgemäß ist.
B / Festsetzungen des Gewerbesteuermeßbetrags sind vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO für alle Veranlagungszeiträume ab 2008 hinsichtlich:
- Hinzurechnungen zum Gewerbeertrag nach § 8 Nr. 1 a), d) oder e) GewStG.
Sämtliche Festsetzungen sind hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer und der darauf entfallenden Nebenleistungen als Betriebsausgaben (§ 4 Absatz 5b EStG) endgültig durchzuführen.
Die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags ist gemäß § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO vorläufig hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Hinzurechnungen zum Gewerbeertrag nach § 8 Nr. 1 a), d), e) und f) GewStG. Die Vorläufigkeitserklärung erfasst sowohl die Frage, ob die angeführten gesetzlichen Vorschriften mit höherrangigem Recht vereinbar sind, als auch den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesfinanzhof die streitige verfassungsrechtliche Frage durch verfassungskonforme Auslegung der angeführten gesetzlichen Vorschriften entscheidet (BFH v. 30.09.2010, Az. III R 39/08, BStBl 2011 II 11). Die Vorläufigkeitserklärung erfolgt lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen. Sie ist nicht dahin zu verstehen, dass die im Vorläufigkeitsvermerk angeführten gesetzlichen Vorschriften als verfassungswidrig angesehen werden. Sie ist außerdem nicht dahingehend zu verstehen, dass die Finanzverwaltung es für möglich hält, das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesfinanzhof könne die im Vorläufigkeitsvermerk angeführte Rechtsnorm gegen ihren Wortlaut auslegen.
C / Vorläufige Festsetzung von Zinsen
Sämtliche neue Zinsfestsetzungen, bei denen der Zinssatz nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO mit 0,5 % je Monat zu ermitteln ist, sind vorläufig nach §§ 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 239 Abs. 1 S. 1 AO vorzunehmen. Bei geänderten oder berichtigten Zinsfestsetzungen gilt der neue Umfang des Vorläufigkeitsvermerks grundsätzlich nur soweit die Änderung reicht, es sei denn es handelt sich um die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung. Weitere Besonderheiten gelten bei vorläufigen Steuerfestsetzungen, in Einspruchsverfahren oder bei bereits finanzgerichtlich anhängigen Verfahren.
Ferner sind Zinsen auf Antrag nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von der Vollziehung auszusetzen. Dies gilt für alle Verzinsungszeiträume ab dem 1. April 2012.
Nicht mehr vorläufig festzusetzen sind:
D / Einheitswertfestsetzungen und Festsetzungen von Grundsteuermeßbeträgen
Das Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 2016 ist rückwirkend am 1. Juli 2016 in Kraft getreten. Es bestehe somit kein Anlass mehr, Festsetzungen der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) sowie Feststellungen nach § 13a Absatz 1a ErbStG a.F. und nach § 13b Absatz 2a ErbStG a.F. im Hinblick auf die durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 angeordnete Neuregelungsverpflichtung vorläufig durchzuführen. Die gleich lautenden Erlasse vom 5. November 2015 wurden daher mit sofortiger Wirkung aufgehoben.
Quellen:
zu A / BMF-Schreiben vom 10. Januar 2019 sowie 4. Januar 2021
zu B / Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 28. Oktober 2016
zu C / BMF-Schreiben vom 02. Mai 2019 und 14.12.2018
zu D / Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 17. Januar 2019
zu E / Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 16. Januar 2017